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Bevölkerung - stark in der Lage!?

Dienstag, 7. Mai 2024, 16:30 - 18:00 Uhr

Raum: Seminarschiff

Moderation und Impuls: Prof. Dr. Lars Gerhold, Technische Universität Braunschweig | Fraunhofer FOKUS

Im Falle weitreichender Großschadenslagen insbesondere in der Chaosphase der ersten zwei Tage kann nicht gewährleistet werden kann, dass die Einsatzkräfte die gesamte Bevölkerung einschließlich aller vulnerablen Gruppen direkt und umfassend versorgen können. Die Menschen sind in solchen Fällen zunächst auf sich selbst gestellt.

Im Rahmen der Session wurde diskutiert, ob und inwieweit diese kritische Zeitspanne mit Strategien der Eigenvorsorge und individuellen (sozialen) Netzwerken wie z.B. der Nachbarschaftshilfe überbrückt und inwieweit im Ernstfall auf diese Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Zudem ging es um die Rolle (sozialer) Netzwerke für die individuelle Ereignisbewältigung und welche Ansätze aus anderen Ländern ggf. auf Deutschland übertragen werden können.

Herr Prof Dr. Lars Gerhold (Technische Universität Braunschweig) moderierte die Session und konstatierte in seinem Eröffnungsbeitrag eine Veränderung der Schwerpunkte in der Bevölkerungsschutz-Thematik angesichts der Ereignisse der „Zeitenwende“ und damit einhergehend auch die Bedeutung des Themas Vorsorge und Vorsorgeverhalten in der Bevölkerung. In diesem Kontext griff er das Zitat des Berliner Landesbranddirektor im Rahmen einer Anhörung im Jahr 2020 im Bundestag auf. Dieser beklagte, es herrsche eine „Vollkasko-Mentalität“ in Teilen der Gesellschaft. Schon bei der „erstbesten Störung“ ertöne der Ruf nach dem Staat. Dagegen seien die Eigenverantwortung und die „Selbsthilfefähigkeit“ der Menschen stärker zu betonen und einzufordern. Die Podiumsteilnehmenden nahmen dazu aus ihrer fachlichen Sicht Stellung:

Herr Prof. Dr. Henning Goersch (Hochschule für Ökonomie und Management, Essen) thematisierte diese Frage in seinem Impulsvortrag warf die Frage auf wie sich das Denken und die Erwartungshaltung der Bevölkerung verändert habe. Seine Analysen bestätigen die Annahme der „Vollkaskomentalität“ in Teilen. Er weist jedoch auch darauf hin, dass eben diese politisch häufig genauso antizipiert wird und das staatliche Handeln bzw. hier konkret die Praxis des Rettungsdienstes oft die „Vollversorgung“ anstrebt. Beide Seiten bedingen sich also. Prof. Dr. Goersch schließt mit dem Fazit, „man könne den Menschen in der Krise durchaus etwas zutrauen“.

Dies bestätigte auch Frau Prof. Dr. Frauke Koppelin (Jade Hochschule Wilhelmshaven) in ihrem Beitrag, der sich auf die Aktivierung der Bevölkerung zum Selbstschutz fokussierte. Um diesen zu fördern, plädierte sie deutlich dafür die Katastrophenantizipation und die Katastrophenvorsorge zu stärken und Strategien zur Befähigung der Bevölkerung zu erarbeiten und in der Breite umzusetzen. Dabei referenzierte sie auch auf das aktuell laufende SIFO-Projekt LifeGrid, in das sie involviert ist.

Frau Ursula Fuchs (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) trat der Einschätzung einer „Vollkaskomentalität“ der Bevölkerung vehement entgegen. Sie stelle im Gegenteil eine große Bereitschaft zur Vorsorge und zur Steigerung der Selbstbefähigung fest. Diese sollte staatlicherseits aufgegriffen werden. Als entscheidenden Erfolgsfaktor sieht sie jedoch eine Kommunikation mit der Bevölkerung auf „Augenhöhe“.

Herr Hans Betke (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), der federführend in das aktuell laufende SIFO-Leuchtturm-Projekt KatHelfer-PRO involviert ist, bestätigte dieses. In seinem Beitrag thematisierte er das Verhältnis von BOS-Angehörigen zur Bevölkerung. Er stellte eine signifikante Zunahme der Zahl sich registrierender Spontanhelfer fest, ebenso wie eine große Hilfsbereitschaft in Krisenlagen. Unter Anderem thematisierte er die Akzeptanz von Erst- und Spontanhelferplattformen.

Die anschließende Podiumsdiskussion sowie die Diskussion mit dem Publikum fokussierte sich zunächst auf Selbstschutz und Notfallvorsorge. Die Bedeutung wurde durch den Hinweis auf §1 des Gesetzes über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes unterstrichen, in dem es heißt: „Behördliche Maßnahmen ergänzen die Selbsthilfe der Bevölkerung.“ In der Diskussion ging es um Ansätze zur Resilienzerhöhung und erneut darum, wie diese gemessen und quantifiziert werden können (Resilienzmonitoring). Diskutiert wurde zudem der Nutzen öffentlich zugänglicher Planspiele, mit denen Jedermann bestimmte Katastrophenszenarien für seine individuelle Wohnadresse durchspielen kann. Soziale Integration, Nachbarschaftshilfe und Kommunikation über Netzwerke wurden durchgehend als entscheidend für die Verbesserung einer „kollektiven Resilienz“ erachtet. Um diese in der Breite aufzubauen bzw. zu stärken, sind die Partizipation und der proaktive Einbezug der Bevölkerung in Bezug auf die Prävention, Vorbereitung und Bewältigung von Krisen und Katastrophen unbedingt weiterhin erforderlich.

 

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