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Workshop 2: Die Bevölkerung als Akteur der zivilen Sicherheit

Mittwoch, 4. Mai 2022, 9:30 - 10:45 Uhr

In diesem zweigeteilten Workshop wurde die Rolle der Bevölkerung im Bereich der zivilen Sicherheit betrachtet. Nicht zuletzt die aktuellen Krisen haben gezeigt, dass die Bevölkerung ein wesentlicher Akteur bei der Schadensbewältigung ist.

Im ersten Teil des Workshops wurde anhand von (Praxis-)Beispielen analysiert, wie eine konkrete Bürgerbeteiligung gestaltet werden kann. Im zweiten Teil wurde diskutiert, wie die zivile Sicherheitsforschung eine aktive Rolle der Bevölkerung im Krisen- und Katastrophenmanagement stärken kann. Schließlich spielen Bürger*innen hinsichtlich der Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeit, im ehrenamtlich getragenen Zivil- und Katastrophenschutz, aber auch als Spontanhelfende eine ganz zentrale Rolle. Daher ist es unabdingbar, die Expertise von Bürger*innen direkt in den Forschungs- und Entwicklungsprozess einzubeziehen.

Teil 1

In einem einleitenden Impuls beleuchtete Prof. Martin Voss (Freie Universität Berlin) die Rolle der Bevölkerung in Krisen und stellte auch wesentliche Aspekte für die Einbindung von Bürger*innen in die Forschung dar. So ist es z. B. notwendig, der Bevölkerung das Verständnis für die Relevanz von Forschung zu vermitteln, um auch Akzeptanz gegenüber den Sicherheitslösungen aufzubauen. Gleichzeitig müssen im Ernstfall die beteiligten Einsatzkräfte lernen, Spontanhelfenden zu vertrauen. Im Hinblick auf den zweiten Teil des Workshops führte er aus, dass es den „Bevölkerungsschutz“ nicht gibt, sondern dieser eine Aufgabe aller ist. Insofern sind immer auch Aspekte der Eigenvorsorge und Notfallbevorratung relevant.

Anschließend stellte Prof. Lars Gerhold (Forschungsforum Öffentliche Sicherheit) die Bevölkerungseinbindung im Projekt „Zukunftslabor des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit“ (Z-Lab) dar. Dies umfasst das Zukunftslabor, das Sicherheitslösungen anschaulich präsentiert, bislang aber nur selten für die Allgemeinheit geöffnet wird. Seitens des Z-Lab wurde deshalb kürzlich im Rahmen einer Panelerhebung und eines Bürgerdialogs versucht, die Wahrnehmung von Sicherheitsforschung in der Öffentlichkeit zu erfassen. Dabei war festzustellen, dass ein großes Interesse der Beteiligten besteht, eingebunden zu werden. Seitens der Sicherheitsforschung wird das Potenzial der Bevölkerung deutlich unterschätzt. Es ist dabei aber erforderlich, möglichst konkrete und situative Zugänge zu ermöglichen.

Herr Michael Thimm (Bundespolizei) stellte in seinem Impuls zum geplanten Sicherheitsbahnhof in Berlin, Möglichkeiten für die Demonstration und den Test von Sicherheitslösungen vor. Ausgehend von der Verkehrswende, die zu einer viel stärkeren Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel führen wird, sind neue Sicherheitslösungen erforderlich, um z. B. zu verhindern, dass Personen ins Gleisbett fallen. Zudem gilt es, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen. Hierzu könnten auch die an Bahnhöfen vorhandenen Kameras mit intelligenter Software genutzt werden. Allerdings muss dazu eine breite Diskussion zu deren Einsatz in der Gesellschaft geführt werden.

Frau Dr. Anna Sieben (Ruhr-Universität Bochum) berichtete über die konkrete Einbindung von Bürger*innen in Fußgängerexperimente im Projekt „Crowd-Management in Verkehrsinfrastrukturen“ (CroMa)“. Neben dem konkreten Bewegungsverhalten wurden dabei auch sozialpsychologische Aspekte des Verhaltens der Menschen in (überfüllten) Bahnhöfen betrachtet. Alle Beteiligten haben sich bei den Experimenten sehr engagiert eingebracht und zeigten insbesondere großes Vertrauen in die Wissenschaft bezüglich der rechtskonformen Durchführung der Experimente.

In der anschließenden Diskussion wurden potenzielle Maßnahmen zur Einbindung der Bevölkerung erarbeitet. Dabei zeigte sich, dass Bürgerbeteiligung die Relevanz von Forschungsthemen erhöhen kann, indem sie von der Zivilgesellschaft formulierte Bedarfe berücksichtigt und diese bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen einbindet. Partizipative Forschungsprozesse können analysieren, welche Probleme von den Bürger*innen gesehen werden, welche Lösungen sie sich wünschen und unter welchen Bedingungen z. B. neue Sicherheitstechnologien und -lösungen akzeptiert oder abgelehnt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerung nicht als homogene „Masse“ bewertet werden darf, da dies zu falschen Einschätzungen der Wahrnehmung und des potenziellen Verhaltens führen würde. Im Rahmen der Förderung darf das Potenzial der Bevölkerung nicht nur zur Datenerhebung genutzt werden, sondern es sollte ein frühzeitiger und kontinuierlicher Diskurs über Prozesse und Ergebnisse angestrebt werden. Dabei sollte vor allem der Akzeptanz der Lösungen große Bedeutung zukommen.

Teil 2

Der zweite Teil des Workshops befasste sich mit den Herausforderungen, denen der Bevölkerungsschutz bei der Einbindung der Bevölkerung als Akteur begegnet. Herr Klaus-Dieter Büttgen (Bundesamt Technisches Hilfswerk) stellte in seinem Impuls insbesondere die Einbindung von Spontanhelfenden vor. Leider werden dabei oftmals nur die wenigen Fälle herausgestellt, bei denen die Hilfeleistung nicht gut funktioniert hat, anstatt die umfangreichen positiven Erfahrungen mit den freiwillig Helfenden in den Vordergrund zu stellen. Gleichzeitig müssen Strukturen und Netzwerke geschaffen werden, um hilfswillige Menschen schnell und sinnvoll einzubinden.

Frau Ursula Fuchs (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) befasste sich in ihrem Impuls mit Fragen der Sensibilisierung und Information der Bevölkerung in Krisenlagen. Sie stellte auch die Rolle des Bevölkerungsschutzes als Zusammenführung des Katastrophen- und Zivilschutzes dar. Der Abbau der Zivilschutzmaßnahmen des Bundes hat dazu geführt, dass weite Teile der Bevölkerung glauben, dass es kaum Risiken gibt und sich im Ereignisfall der Staat um alles kümmert. Insofern gibt es in der Bevölkerung vergleichsweise wenig Vorsorge und geringe Selbsthilfefähigkeiten. Die derzeitige Sicherheitslage führt jetzt wieder zu einem Umdenken der Menschen, was sich z. B. in dem vermehrten Absatz des BBK-Ratgebers Notfallvorsorge äußert.

Herr Mathias Max (Deutsches Rotes Kreuz) fokussierte sich in seinem Beitrag auf die Schulung und Ausbildung der Bevölkerung. Neben dem haupt- und ehrenamtlich getragenen Zivil- und Katastrophenschutz, kommt der Unterstützung durch Spontanhelfende zunehmend eine wichtige Rolle zu. Zukünftig ist ein sozialraumorientierter Bevölkerungsschutz nötig, der auch die Bedürfnisse von vulnerablen Gruppen, wie z. B. Pflegebedürftigen, stärker einbezieht.

Frau Rebecca Nell (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO) referierte zu Möglichkeiten der Einbindung der Bevölkerung vor und in Einsatzlagen. Als Ergebnis des Projekts „Unterstützung der Kooperation mit freiwillig Helfenden in komplexen Einsatzlagen“ (KOKOS) ist das Konzept der Mittlerorganisationen entstanden. Ziel ist hierbei, unter Einbeziehung bestehender Organisationen, wie z. B. Vereinen, oder auf Basis spontan entstehender Strukturen, eine Verbindung zwischen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und Spontanhelfenden zu schaffen. Teilweise existieren solche während der Flüchtlingskrise 2015 entstandenen Strukturen bis heute. Dies ist aber kein Ersatz, sondern eine effektive Ergänzung der professionellen Einsatzkräfte. Für eine funktionierende Kooperation sind deshalb auch klare Aufgabenverteilungen wichtig.

Zusammenfassend konnte als Ergebnis der Diskussion festgehalten werden, dass Spontanhelfende inzwischen ein wichtiger Bestandteil der Architektur des Bevölkerungsschutzes sind. Auf der anderen Seite besteht in der Bevölkerung jedoch auch ein unzureichendes Bewusstsein für Krisen und Gefahren sowie eine mangelnde Vorsorge hierfür. Die bisherigen Appelle zur Selbstvorsorge und -hilfe werden noch nicht ausreichend wahrgenommen. Daher ist es wichtig, das Risikobewusstsein zu stärken und die Sensibilisierung der Bevölkerung zu fördern. Hierfür müssen z. B. bestehende Warnsysteme besser an die Bedürfnisse der Bevölkerung und insbesondere vulnerable Gruppen angepasst und moderne Technologien für die Sensibilisierung genutzt werden. Zudem sind einfach zu handhabende Lösungen für die Krisenbewältigung erforderlich, die auch von Laien genutzt werden können. Aber auch die Akteure des Bevölkerungsschutzes müssen lernen, die Bürger*innen als aktive und kompetente Partner zu akzeptieren. Dabei müssen auch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Bevölkerungsgruppen einbezogen werden. Hierzu sind ebenfalls neue Konzepte erforderlich.

  

Bitte beachten Sie:

Alle hier zum Download zu Verfügung gestellten Vorträge sind nicht barrierefrei.

 

Vorträge

Moderation:

Prof. Dr. Martin Voss (Freie Universität Berlin)

Klaus-Dieter Büttgen (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk)

Vortragende:

Prof. Dr. Lars Gerhold (Freie Universität Berlin)

Tino Roth (Bundespolizei)

Dr. Anna Sieben (Ruhr-Universität Bochum)

Ursula Fuchs (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Matthias Max (Deutsches Rotes Kreuz)

Rebecca Nell (Fraunhofer IAO)

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