Session 4: Biologische und chemische Gefahren - Weiterhin unterschätzt?
Dienstag, 3. Mai 2022, 15:00 - 18:00 Uhr
Die weltweite Corona-Pandemie hat die Gefahren, die von Zoonosen ausgehen, ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht. Hingegen stehen die Gefahren, die mit der Freisetzung von biologischen und chemischen Stoffen (B- und C-Gefahren) durch terroristische Angriffe oder Unfälle einhergehen, kaum im Fokus der Öffentlichkeit. Zu Beginn der Pandemie musste in der Bevölkerung das Erfahrungswissen erst aufgebaut werden, um angemessen mit dieser Gefahr umzugehen – was den Umgang mit bioterroristischen Gefahren angeht, fehlt dieses Wissen weiterhin. Die Session ging daher von der These aus, dass B- und C-Gefahren weitestgehend unterschätzt werden.
Herr Dr. Gunnar Jeremias (Universität Hamburg), Koordinator des Projekts „Biologische Gefahren: Analyse und integrierte Einschätzung von Risiken“ (BIGAUGE) führte zu Beginn der Session in das Thema und die These der Unterschätzung ein. Jeremias systematisierte das Feld der B- und C-Gefahren durch die Aufschlüsselung von toxischen Agenzien und möglichen Szenarien. Die Gemeinsamkeit des Feldes sah er in der Gefahr für den Menschen und für die Agrarökonomie, wenn biologische oder chemische Agenzien oder Biotoxine als Waffe eingesetzt werden. Unterschiede sind hingegen in den notwendigen Präventions-, Vorbereitungs- und Reaktionsmechanismen zu finden.
Die anschließende Podiumsdiskussion begann mit einem Impuls von Frau Dr. Anne Pohlmann (Friedrich-Löffler-Institut) aus dem Projekt „Notfallstrategien gegen virale Pathogene“ (PREPMEDVET) zu der Frage, was aus der Corona-Pandemie gelernt wurde. Sie führte aus, dass die Pandemie zu einem Entwicklungsschub bei den für die Bewältigung genutzten Technologien, wie z.B. im Bereich der Test- und Labordiagnostik, geführt habe. Für die Zukunft, in der die Möglichkeit von Pandemien wieder zunehmend aus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten wird, sei mehr Überwachung auf molekularer Ebene an der Schnittstelle Mensch/Tier notwendig.
Herr Dr. Ralph Trapp (internationaler Experte für C-Gefahren) bezifferte in seinem Vortrag die Anzahl möglicher Szenarien von terroristischen Angriffen mit B- und C-Waffen auf ungefähr 5 Milliarden – basierend auf einer Studie des US Department for Homeland Security. „Nur“ 600.000 dieser Szenarien hätten ernsthafte Konsequenzen, doch auch diese Zahl zeige die Notwendigkeit von Reaktionsmöglichkeiten, die für eine Vielzahl an verschiedenen Szenarien angewandt werden können. Der Raum der spezifischen Agenzien werde dabei z.B. durch Genmodifikation immer größer.
Herr Dr. Andreas Rummel (Medizinische Hochschule Hannover) widmet sich im Projekt „Erforschung und Herstellung eines dekavalenten Botulismus-Antitoxins zur Abwehr von bioterroristischen Gefahrenlagen“ (X-BAT) der Frage, wie gut wir als Gesellschaft, aber auch in Wissenschaft und Politik auf die Gefahren durch B- und C-Waffen vorbereitet sind. Trotz differenziert zu betrachtender Antworten stellte er jedoch generell ein schlechtes Vorbereitungsniveau fest. Er forderte, dass Forschungsergebnisse, z.B. auf dem Gebiet der Antitoxine gegen biologische Gefahrstoffe, schneller in die Praxis umgesetzt werden müssten. Darüber hinaus setzte er sich für eine stärkere Bevorratung von Antidoten ein, die jedoch politisch gewollt sein müssen, da es sich hierbei in der Regel um Produkte ohne Markt handele.
Frau Katrin Wieden (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, THW), Koordinatorin des Projekts „Dekontaminationsmaßnahmen nach einer vorsätzlichen oder natürlichen Freisetzung von pathogenen Mikroorganismen“ (DEFERM), setzte sich in ihrem Vortrag damit auseinander, wie die Bevölkerung im Ernstfall bestmöglich auf die Freisetzung von B- und C-Stoffen vorbereitet werden kann. Das Wissen um die Gefahren und eine auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmte Kommunikation seien hierbei die wichtigsten Aspekte einer wirksamen Prävention. Im THW sei man auf den Umgang mit B- und C-Gefahren vorbereitet, insbesondere für die grenzübergreifende Zusammenarbeit leistet hier vor allem die deutsch-französische Kooperation im DEFERM-Projekt einen wichtigen Beitrag.
An die Impuls-Statements schloss sich eine Podiumsdiskussion an. Als große Herausforderung stellte sich in der Diskussion die Bereitstellung und Zusammenführung von Daten aus unterschiedlichen Quellen heraus. So wären viele Daten, z.B. zur lokalen Coronaviruslast und der Häufigkeit verschiedener Varianten im Abwasser, unproblematisch verfügbar, würden jedoch durch fehlende Kooperationen oder unklare Finanzierungsmechanismen nicht zusammengeführt und genutzt.
Abschließend wurde diskutiert, wie die in der Sicherheitsforschung erarbeiteten Ergebnisse innerhalb der Ressorts auf Bundes- und Länderebene besser verbreitet werden können und wie Synergieeffekte stärker genutzt werden können. Das Panel und die Vertreterin des BMBF waren sich darin einig, dass die Kooperation mit den anderen Ressorts der Bundesregierung gestärkt werden muss, um Daten und Ressourcen besser zusammenzubringen. Sicherheitsforschung könne hier nur ein Bestandteil sein, der strategisch mit anderen zusammengebracht werden müsse. Auch die Verknüpfung zu angrenzenden Themen über den „one health“-Ansatz müsse verbessert werden. In internationalen Kontexten sei dies oft einfacher als im nationalen Rahmen, da weniger deutsche Akteure an einem Ort zusammenkämen.
Vorträge
Impuls und Moderation: Dr. Gunnar Jeremias (Universität Hamburg) |
Vortragende: Dr. Anne Pohlmann (Friedrich-Loeffler-Institut) Dr. Andreas Rummel (Medizinische Hochschule Hannover) Dr. Ralf Trapp (Internationaler Abrüstungsberater Chemische und Biologiesche Waffen) Katrin Wieden (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk) Stefan Martini (Feuerwehr Köln) |