Navigation und Service

-

Plenum "Sicherheit: Wahrnehmungen, Empfindung, Kommunikation"

Dienstag, 17.04.2012; 13:45 - 15:45 Uhr

Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit

Zivile Sicherheit ist auch eine Frage der Wahrnehmung und Kommunikation. Hierbei bestehen Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. So sei die Bevölkerung über Risiken, wie etwa die Gefahren eines mehrwöchigen Stromausfalls, weder ausreichend informiert noch vorbereitet, so lautete die Eingangsthese von Prof. Dr. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die in diesem Plenum eingehend diskutiert wurde. Um die Bevölkerung besser auf Risiken und Unsicherheiten vorzubereiten, müssten unter anderem die Kompetenzen in Bezug auf die Interpretation von Statistiken bei den Bürgerinnen und Bürgern gestärkt werden. Vor dem Hintergrund dieser Thesen wurden im Plenum die Chancen und Herausforderungen der Sicherheitswahrnehmung und -kommunikation im Wechselspiel zwischen Institutionen, Medien und Bürgern erörtert.

„Wie ist der Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit genau zu definieren?“, lautete eine Nachfrage aus dem Publikum. Dazu erklärte Prof. Dr. Gigerenzer, dass wenn alle Alternativen, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt seien, man von Risiken spreche. Andernfalls handle es sich um Unsicherheiten. Fast die gesamte Forschung würde sich jedoch auf Risiken und nicht auf Unsicherheiten konzentrieren. Offenbar ließen sich Risiken mathematisch besser handhaben. Das Kernproblem bei diesem Ansatz sei allerdings, dass Risikotheorien dann Sicherheiten suggerierten, die in einer unsicheren Welt nicht gegeben seien.

Mit welchen Unsicherheiten kann die Gesellschaft leben?

Die gesellschaftliche Unsicherheitskompetenz müsse vor allem in Bezug auf Schadensereignisse, deren Risiken sich nicht berechnen ließen, gestärkt werden, forderte Prof. Dr. Gigerenzer.

Unsicherheitskompetenz bedeute, zum Beispiel im medizinischen Bereich wie in der BSE-Krise, immer wieder den Nutzen und den Schaden einer Maßnahme neu abzuwägen. Es gelte, verstehen zu lernen, woher eine Information komme, also wer zum Beispiel die Forschung daran finanziert habe. Des Weiteren wäre es notwendig, die Illusion aufzugeben, dass man über Unsicherheiten jemals vollständige Gewissheit erlangen könne. Die Menschen müssten lernen, mit Unsicherheiten zu leben, statt sie zu verdrängen.

Dieser These hielt Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), entgegen, dass Behörden mit Sicherheitsaufgaben vor allem den Auftrag zu erfüllen hätten, die Bevölkerung effektiv vor Gefahren zu schützen. Entsprechend würden diese Institutionen daran arbeiten, den Bereich der Unsicherheit so weit wie möglich zu minimieren. Das gelinge ganz ohne ein Verdrängen von Risiken. Theoretisch denkbare Gefahren würden in einer Risikoanalyse bewertet. Dann verringere sich auch der Bereich der Unsicherheit deutlich. Denn ob es sich nun um BSE oder eine globale Pandemie handle; Die zu entwickelnden Verfahren, Prinzipien, Vorkehrungen und das Krisenmanagement müssten breit aufgestellt werden, um möglichst viele Risiken abdecken zu können.

Prof. Dr. Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts, ergänzte, dass es im Fall einer Krise durch einen Krankheitserreger günstig wäre, wenn eine viel frühere und engere Abstimmung zwischen den beteiligten Akteuren – von den behandelnden Ärzten über die Gesundheitsbehörden bis hin zu den Landesinstitutionen – gelänge. Diese Notwendigkeit sei nicht zuletzt auch bei der EHEC-Krise deutlich geworden. Die Abstimmung der Institutionen untereinander müsse schneller möglich sein, um Gefahren noch rascher einordnen zu können.

Die Rolle der Kommunikation in einer Krise

Zur Rolle der Krisenkommunikation hob Prof. Dr. Juliana Raupp von der FU Berlin hervor, dass Kommunikation und Handeln in ständiger Wechselwirkung ständen. Daher sei kein Krisenmanagement ohne eine planvolle Krisenkommunikation denkbar. Kommunikation werde aber von Institutionen nach dem Motto: „Erst behandeln wir die Krise, und danach kommunizieren wir, was wir gemacht haben oder was wir schon wissen“, häufig als nachgelagert betrachtet. Die Krisenkommunikation sei jedoch ein wichtiger Baustein, der schon unmittelbar in das Krisenmanagement eingreife.

Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht gab dabei zu bedenken, dass ein Teil der Reaktionen von Medien, Öffentlichkeit und Bürgern auf bestimmte Gefahren, Unsicherheiten usw., damit zusammenhingen, dass das Vertrauen unserer Gesellschaft in die Institutionen nicht mehr sonderlich hoch sei. Er schlug vor, auch darüber zu diskutieren, wie man mit Risiken umgehen könne, wenn vertrauensvolle Kommunikation nicht mehr möglich sei.

Im Fall der EHEC-Krise sei, so Prof. Dr. Gigerenzer, deutlich geworden, dass vor allem die Weitergabe sachlicher Informationen auf der Basis vertrauenswürdiger Quellen sowie klare Zuständigkeitsregeln für die Kommunikation mit der Bevölkerung wesentlich seien. Dabei sollten die Behörden um Vertrauen zu schaffen, punktuell eingestehen, worüber man noch nicht Bescheid wisse. Dem stimmte auch Prof. Dr. Burger zu, und hob hervor, dass die zuständigen Behörden und Institutionen im Krisenfall den Dialog mit den Medien selbst in Phasen ohne neue Nachrichten oder Informationen transparent und fundiert weiterführen müssten.

Prof. Dr. Raupp ergänzte die Frage, wie dem Vertrauensverlust in der Bevölkerung entgegenzuwirken sei, mit einer weiteren Überlegung: Vielleicht herrsche nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch umgekehrt in den Institutionen zu wenig Vertrauen in die Bevölkerung. Ihre Empfehlung lautete: Behörden sollten sich trauen, beispielsweise Nachrichten und Informationen, die in den Neuen Medien veröffentlicht werden, zu nutzen. Das sei zudem eine relativ kostengünstige Möglichkeit, um nachzuvollziehen, wie Wissen entstehe oder wie betroffene Bevölkerungsgruppen mit Risiken umgehen. Soziale Netzwerke, wie zum Beispiel Facebook oder Twitter, würden inzwischen von betroffenen Bürgern häufig dazu genutzt, in Krisensituationen oder Katastrophenlagen Selbsthilfegemeinschaften zu bilden, zum Beispiel, um psychosoziale Ersthilfe zu leisten oder die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden zu stärken. Dadurch könne die Selbsthilfefähigkeit in der gesamten Bevölkerung gestärkt werden ohne zwingend in teure Kommunikations- und Aufklärungskampagnen zu investieren. Es reiche zunächst, wenn man die Aktivitäten in den neuen Medien auch ernst nehme, wahrnehme, beobachte. Dann könne man gezielt versuchen, tatsächlich gemeinsam mit den Betroffenen nach Bewältigungsmöglichkeiten zu suchen.

Impulsbeiträge:

Prof. Dr. Juliana Raupp (FU Berlin, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft)

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung)

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg Albrecht (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht)


Statements:

Prof. Dr. Reinhard Burger (Robert Koch-Institut, RKI)

Christoph Unger (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK)


 

Moderation: Conny Czymoch