Audime: Audiovisuelle Medizinische Informationstechnik bei komplexen Einsatzlagen
Bei einem Massenunfall mit mehr als 25 Verletzten werden oftmals zahlreiche und spezielle medizinische Leistungen benötigt, die vor Ort nicht sofort verfügbar sind. Die Verbundpartner in Audime erforschten deshalb ein System für eine schnelle und zielgerichtete Daten- und Informationsgewinnung sowie -weitergabe. Darüber hinaus wurde eine Lösung für die telemedizinische Einbindung externer Ärzte erarbeitet. Zur Integration dieser Lösungen sollte ein einheitliches Informations- und Kommunikationssystem geschaffen werden, in das alle vorhandenen Systeme einbezogen werden können.
Bei einem Massenanfall von Verletzen (MANV) bietet sich den Einsatzkräften vor Ort meist eine unübersichtliche Lage. Zudem sind gerade zu Einsatzbeginn die vorhandenen Ressourcen sehr knapp. In einer solchen Extremsituation ist die Rettung von möglichst vielen Menschenleben das oberste Ziel. Dabei gelten andere Vorgehensweisen als im Rettungsdienst-Alltag. So müssen die Rettungskräfte bei der Erstbegutachtung von Patienten, der sogenannten Sichtung, innerhalb kürzester Zeit die Schwere der Verletzungen der Betroffenen feststellen und den Gesamtzustand präzise einschätzen. Anhand dieser Ersteinschätzung werden die Behandlungs- und Transportprioritäten der betroffenen Personen festgelegt.
Das tägliche Training der Rettungskräfte reicht oft nicht aus, um adäquat auf die physische und psychische Belastung eines MANV mit einer sehr großen Anzahl von Verletzten vorbereitet zu sein. Dies führt nicht selten zu fehlerhaften Einschätzungen bei der Erstbegutachtung von Patienten. Durch solche Fehleinschätzungen können lebensrettende Behandlungen erst verzögert begonnen werden.
Die Arbeit der Rettungskräfte in einer unübersichtlichen Lage mit einer Vielzahl an Verletzen durch die Integration moderner Technik zu unterstützen, war das Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes „Audiovisuelle Medizinische Informationstechnik bei komplexen Einsatzlagen (Audime)“.
Zu diesem Zweck wurden die Einsatzkräfte mit Datenbrillen ausgestattet, die zur Anzeige und Erfassung von Informationen genutzt werden können. Diese bieten den Rettungskräften die Möglichkeit, Sichtungsstandards (Sichtungsalgorithmen) strukturiert abzuarbeiten, um Fehleinschätzungen vorzubeugen. Alternativ kann per Knopfdruck ein Leitender Notarzt aus der Ferne per Videostreaming hinzugeschaltet werden, um im “4-Augen-Prinzip” eine Sichtung unter ärztlicher Begleitung vorzunehmen. Über die Datenbrillen wurden bei Bedarf standardisierte Behandlungsprozeduren für die individualmedizinische Therapie eingeblendet, um die Rettungskräfte vor Ort bei der Versorgung einzelner Betroffener zu unterstützen. Zum Abschluss konnte die Patientenanhängekarte, welche die Ergebnisse der Patientensichtung dokumentiert, abfotografiert und gespeichert werden. Dieses Prinzip folgt dem Grundsatz „High-Tech meets No-Tech“, so dass bekannte Infrastrukturen und bewährte Vorgehensweisen bestehen bleiben können. Die Einsatzkräfte können ihre gewohnte Arbeitsweise beibehalten und werden dabei durch die Datenbrille zielgerichtet unterstützt. Auf diese Weise erweiterte Audime bestehende, analoge Komponenten um eine digitale Informationsverarbeitung.
Die Bedienung der Datenbrillen erfolgte dabei durch ein einfaches Antippen oder das aus dem Alltag bekannte „Wischen“ mit den Fingern an der Brille. Alle vom Audime-System erfassten Daten wurden gesammelt, aufbereitet und in Echtzeit an die betreffenden Einsatzkräfte weitergegeben. Bisher wurden diese Informationen mit deutlicher Verzögerung per Sprechfunk übermittelt, was den Überblick über die Lage erschwert bzw. verzögert.
Aufbauend auf den Informationen der Patientensichtungen erhielt die Einsatzleitung durch das Audime-System ein genaues Lagebild und konnte so zusätzliche Ressourcen zur Bewältigung des organisatorischen Aufwands und der medizinischen Versorgung der Verletzten anfordern, bzw. zur Verfügung stellen. Ergänzend konnten neu anrückende Rettungskräfte eine Übersichtskarte zugespielt bekommen, in der alle aktuell bekannten Positionen der Patienten sowie Patientenablagen und Rettungsmittelhalteplätze eingezeichnet waren.
Am Forschungsprojekt Audime beteiligten sich die Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik RWTH Aachen, der Lehrstuhl für Informationsmanagement im Maschinenbau der RWTH Aachen, das Centre for Security and Society der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie die Firmen Tech2go Mobile Systems GmbH (MedicalPad) und GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple GmbH (corpuls).
Die technische Sichtungsunterstützung wurde erstmals bei einer Großübung im April 2016 sowie bei weiteren Evaluationen im Rahmen einer Sichtungsübung im Mai 2017 und der Abschlussdemonstration von Audime im Juli 2017 getestet. Dabei zeigte sich, dass die konventionelle Sichtung zwar aktuell noch weniger Zeit in Anspruch nimmt, eine technisch unterstützte Sichtung mit der Datenbrille aber einen deutlichen höheren Anteil korrekter Sichtungsergebnisse bewirkt und die digitale Erfassung dieser Einzelergebnisse ermöglicht. So lassen sich Behandlungs- und Transportprioritäten nicht nur besser festlegen, sondern sind auch übersichtlich digital verfügbar. Dies kann bei komplexen Einsatzlagen, insbesondere bei einem anfänglichen Ressourcenmangel schlussendlich helfen, Leben zu retten.
Weitere Informationen zum Verbundprojekt
Förderkennzeichen 13N13261 bis 13N13265
Projektlaufzeit 10/2014 - 12/2017
Projektumriss Audime (PDF, 86KB, Datei ist nicht barrierefrei)
Abschlussberichte der Teilvorhaben
Teilvorhaben 13N13261: Integrative Bereitstellung von Echtzeitinformationen im Großschadensfall unter Verwendung von Datenbrillen (Technische Hochschule Aachen)
Teilvorhaben 13N13262: Organisatorische Chancen, Risiken und Folgen telemedialer Vernetzung im Rettungsdienst und bei Sichtungsverfahren (Universität Freiburg)
Teilvorhaben 13N13263: Visualisierung und Software Provisioning (Tech2go Mobile Systems GmbH, Hamburg)
Teilvorhaben 13N13264: Kontinuierliches Monitoring von Vitaldaten und Telemedizin im Großschadensfall (GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple GmbH, Kaufering)
Teilvorhaben 13N13265: Technisch-anästhesiologische Unterstützungskonzepte zur Optimierung des Managements komplexer Einsatzlagen (Universitätsklinikum Aachen)