Navigation und Service

-

ESCAPE-PRO: Besucherstromsimulationen bei parallelen Großveranstaltungen

Vor dem Hintergrund der potenziellen Gefahr terroristisch motivierter Gewalttaten müssen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit Großveranstaltungen Szenarien für Bedrohungen und Evakuierungen im Voraus durchdenken. Personenstromsimulationen können dabei unterstützen, Evakuierungsszenarien zu planen und Schutzmaßnahmen vorzubereiten. Das vorherige Projekt ESCAPE hat erstmals erfolgreich eine mikro- und makroskopische Perspektive innerhalb einer Simulationssoftware kombiniert, um damit weitläufige Veranstaltungsflächen oder gleichzeitig stattfindende Großveranstaltungen in unmittelbarer Nähe zu simulieren. Ziel des Projektes ESCAPE-PRO ist es, die Leistungsfähigkeit der Software zu verbessern und den Mehrwert und die Anwendbarkeit in der Praxis zu zeigen.

Kameras im Fußballstadion
© malajscy - stock.adobe.com

Die UEFA EURO 2024 ist zu Ende, die Bilder der Fan-Feste bleiben. Die Polizeien von Bund und Ländern haben sich im Vorfeld intensiv mit den jeweiligen Einsatzplanungen beschäftigt. In den Austragungsstädten lieferten erstmals Personenstromsimulationen neue sicherheitsrelevante Informationen für die Einsatzplanung.

Relevanz

In nahezu allen Großstädten des Bundesgebietes finden regelmäßig gleichzeitig und in unmittelbarer Nähe zueinander Volksfeste, Konzerte und Public-Viewing-Veranstaltungen mit tausenden Besucherinnen und Besuchern statt. Diese stellen die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Als sogenannte weiche Ziele bringen sie vor dem Hintergrund der anhaltenden terroristischen Bedrohungslage ein hohes Gefährdungspotential mit sich. Die Komplexität des Einsatzraumes und die schwer einzuschätzenden Wechselwirkungen der Veranstaltungen untereinander machen es besonders schwierig, Einsatzlagen und polizeiliche Maßnahmen lageorientiert zu planen.

So ist in einem Bedrohungsszenario beispielsweise die Räumungsdauer von besonderer Relevanz. Bislang wird hier häufig auf Schätzungen des Veranstalters oder des beauftragten Dienstleisters im Rahmen der Konzepterstellung referenziert. Durch das Vorliegen eines verlässlicheren Zeitansatzes können Räumszenarien, polizeiliche Interventionsaufgaben und begleitende Maßnahmen wie Verkehrslenkungen/-sperrungen stringenter geplant und der sich daraus ergebende Kräfteansatz belastbarer beziffert werden. Die polizeiliche Einsatzplanung soll daher künftig mit entsprechenden Simulationsanalysen und -ergebnissen szenarienbasiert ihre Lagebewertungen verbessern und daraus Maßnahmen ableiten. Dieser Bedarf besteht bundesweit bei allen Polizeien der Länder und des Bundes, die sich inhaltlich mit Großveranstaltungen auseinandersetzen.

Implementierung in die polizeiliche Einsatzplanung

Vor diesem Hintergrund wurde im Frühjahr 2023 das Projekt „Besucherstromsimulationen bei parallelen Großveranstaltungen“ (ESCAPE-PRO; siehe Informationsbrief Ausgabe 07/24) gestartet. Die in diesem Projekt verwendete Simulationssoftware „crowd:it“ wird von der accu:rate GmbH bereits seit vielen Jahren genutzt und fortlaufend anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickelt. Sie zeigt u. a. Laufwege und -geschwindigkeiten von Personen, kritische Bereiche, Engstellen, ungenutzte Flächen sowie Stauungen bei Räumungsmaßnahmen und stellt sie anschaulich dar.

Für das Vorgängerprojekt ESCAPE wurden besondere Features entwickelt, um etwa sicherheitsrelevante Wechselwirkungen von zeitgleich stattfindenden Großveranstaltungen zu simulieren. Das Ziel von ESCAPE-PRO besteht nun unter anderem darin, die Software im Hinblick auf Anwendungsfreundlichkeit und Performanz weiterzuentwickeln, damit mehr Sicherheitsbehörden mit ihr arbeiten können. Neben den Polizeien der zehn Austragungsstädte sind daher auch die Feuerwehren und Ordnungsämter der Städte Stuttgart und Köln am Projekt beteiligt. Wissenschaftlich wird das Projekt außerdem vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung sowie der Deutschen Hochschule der Polizei begleitet.

Nach entsprechender Schulungs- und Testungsphase für die polizeilichen Anwenderinnen und Anwender bot die UEFA EURO 2024 die einmalige Gelegenheit einer bundesweiten Praxiserprobung zur Leistungsfähigkeit und Einsatztauglichkeit der Software. Für jeden Spielstandort der Fußballeuropameisterschaft wurden dabei im Rahmen des ESCAPE-PRO-Projekts eine oder mehrere Simulationen entwickelt. Dadurch ergab sich u. a. folgender vollzugspolizeilicher Mehrwert:

Szenarienbildung

Für die Einsatzplanung wurden verschiedene Szenarien simuliert und die daraus folgenden Personenströme analysiert, insbesondere die Wechselwirkungen verschiedener Ströme in der Innenstadt in unmittelbarer Nähe der betrachteten Fanzonen. Die hieraus gewonnenen sicherheitsrelevanten Informationen wie Räumungsdauer und notwendige Verkehrslenkungen und -sperrungen konnten in die Beurteilung der Lage einfließen.

Auch die Fanmärsche wurden als Analyseobjekt herangezogen: Mithilfe der Software konnten Schrittgeschwindigkeit und bauliche Gegebenheiten auf der Strecke so eingeschätzt werden, dass die Sperrung von Verkehrsknoten und die erforderliche Fantrennung erfolgreich vorgeplant werden konnten. Das verhinderte während einer Hochrisikobegegnung die Fanvermischung und gewährleistete, dass die Fans rechtzeitig und getrennt voneinander das Stadion erreichten.

Optimierung von Interventionsmöglichkeiten

Die Personenstromsimulationen konnten Räume aufzeigen, in denen im Fall eines Anschlags polizeiliche Kräfte taktisch so hätten positioniert werden können, dass sie möglichst wenig durch Flüchtende behindert worden wären. Durch die Berechnung der Räumungszeit war es möglich, für ein eventuelles Bedrohungsszenario mit feststehendem Ultimatum weitere Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu planen.

Kräftemanagement im Einsatzraum

Die Simulationssoftware lieferte Informationen über die Bewegungsrichtung von Personen und zeigte zudem auch mögliche ungenutzte Flächen und Freiflächen auf. Diese Erkenntnisse konnten bei der Planung von Anfahrtswegen, Sammelstellen und Bereitstellungsflächen von Einsatzkräften berücksichtigt werden.

Bewertung steht noch aus

Zum Projektende sollen wichtige Fragestellungen bewertet und beantwortet werden, wie z.B. rechtfertigen die gewonnenen Erkenntnisse durch den Einsatz der neuen Software den Aufwand zur Erstellung der Simulationen? Besitzt die Software den notwendigen Reifegrad, um sie dauerhaft in einsatzplanende Stellen einbinden zu können? Zudem soll den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben eine Entscheidungshilfe an die Hand gegeben werden, mit der der Einsatz der Software in die jeweilige Behörde bezüglich Leistungsfähigkeit, Systemvoraussetzungen, Personalbedarf und Anwendungsmöglichkeiten besser geplant und umgesetzt werden kann.

ESCAPE-PRO wird vom BMBF von Juni 2023 bis Dezember 2024 mit rund einer Million Euro gefördert. Projektpartner sind das Polizeipräsidium Stuttgart, die accu:rate GmbH, das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), die Deutsche Hochschule der Polizei, die Polizei Berlin, das Polizeipräsidium Hamburg, das Polizeipräsidium Köln sowie zehn assoziierte Partner.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Webseite des ESCAPE-PRO-Projekts. Bei Fragen wenden Sie sich gerne per E-Mail an stuttgart.pp.fest.escape@polizei.bwl.de.

Weitere Informationen zum Verbundprojekt

Förderkennzeichen 13N16639 bis 13N16645

Projektlaufzeit: Juni 2023 - Dezember 2024

Projektumriss ESCAPE-PRO