SiBa: Sicherheit im Bahnhofsviertel
Moderne Hauptbahnhöfe werden gerne als städtische Aushängeschilder betrachtet. Andererseits gelten großstädtische Bahnhofsviertel häufig als Anziehungspunkt für Rotlichtmilieu und Drogenszene und werden von der Bevölkerung als kriminalitäts- und problembelastet wahrgenommen. Ziel des Projektes SiBa war es, neue Konzepte und Herangehensweisen zu entwickeln, um Bahnhöfe und ihr Umfeld sicherer zu gestalten. Dazu wurden die Anwohner von Bahnhofsvierteln repräsentativ über die Situation in ihrem Wohnquartier befragt. Parallel fanden Begehungen und Beobachtungen statt, um die Sicherheitssituation im jeweiligen Viertel zu dokumentieren. Aus der Analyse wurde ein integriertes, praxistaugliches Präventions- und Handlungskonzept erstellt. Anwendung findet das Konzept in der Stadtentwicklung und bei der Umsetzung von kriminalpräventiven Maßnahmen in den jeweiligen Bahnhofsvierteln.
Weiterführende Informationen zum Verbundprojekt
Förderkennzeichen 13N14412 und 13N14413
Projektlaufzeit 08/2017 – 12/2020
Projektumriss SiBa (PDF, 126KB, Datei ist nicht barrierefrei)
Interview
Frau Haverkamp, im Projekt „Sicherheit im Bahnhofsviertel (SiBa)“ erforschen Sie das Sicherheitsempfinden der Anwohner und Nutzer von Bahnhofsvierteln. Welche Einflussfaktoren sind dafür ausschlaggebend, dass verschiedene Menschen sich an ein und demselben Ort unterschiedlich sicher fühlen?
Es sind ganz unterschiedliche Faktoren, die da zusammenkommen. Zum einen spielt die Persönlichkeit von Menschen eine Rolle. Es gibt zum Beispiel eher ängstliche und eher risikofreudige Menschen, die auf eine gegebene Situation jeweils anders reagieren. Dann gibt es in Bahnhofsvierteln meist ein Konglomerat an sehr unterschiedlichen Menschen, die hier aufeinandertreffen. Anwohner, Touristen, Pendler oder Gewerbetreibende halten sich dort mit verschiedenen Interessen und Motivationen auf. Während die Anwohner ihr Viertel gut kennen und wissen, wie sie bestimmte Situationen einordnen können, sind viele weitere Nutzer von Bahnhofsvierteln nur kurzfristig oder zeitweilig dort.
Orte, die durch eine hohe Anonymität und Fluktuation von Menschenmengen gekennzeichnet sind, können bei manchen Menschen aus verständlichen Gründen ein Gefühl von Stress, Anspannung oder Angst auslösen. Wer mit den Gegebenheiten und dem Umfeld vor Ort nicht vertraut ist, kann auch nicht wissen, wie die hier anzutreffenden, unbekannten Personen sich verhalten und reagieren werden. Zu einem Gefühl der Unsicherheit können darüber hinaus bestimmte unerfreuliche Situationen beitragen: Bahnhofsviertel ziehen aufgrund ihrer vergleichsweise größeren Anonymität und einer geringeren informellen Sozialkontrolle auch Menschen an, die Straftaten begehen. Dementsprechend gibt es in Bahnhofsvierteln meist auch eine stärkere Polizeipräsenz als zum Beispiel in den Außenbezirken von Städten.
Beim Thema Sicherheit zeigt sich, dass statistische Beschreibungen häufig nicht den Empfindungen der Menschen entsprechen. Woher kommt das?
Das Gefühl hängt nicht mit der Statistik zusammen, das sind zwei unterschiedliche Faktoren. Zwischen der persönlichen Sicherheit und der gesellschaftlichen Sicherheit ist zu unterscheiden. Fragt man Menschen, wie sicher sie sich in ihrem persönlichen Wohnumfeld fühlen, dann zeigt sich in der Regel ein außerordentlich hohes Sicherheitsgefühl. Das hat damit zu tun, dass sie die Umgebung und ihre Wege gut kennen und auch wissen, welche Ecken sie im Zweifel lieber meiden, weil sie ihnen beispielsweise zu dunkel sind. Wenn man in Räumen unterwegs ist, die man nicht so gut kennt oder die man schwer einschätzen kann, dann fühlt man sich tendenziell unsicherer.
Die Diskrepanz zwischen Statistik und gefühlter Sicherheit rührt auch daher, dass die Bewertungsmechanismen von Menschen unterschiedlich sind. Deutlich wird dies zum Beispiel beim Thema Hitze: Der Sommer 2018 wurde ja vielfach als sehr angenehm empfunden, auch wenn er dem ein oder anderen dann doch zu heiß war und unabhängig davon, dass es Probleme für die Landwirtschaft gab. Objektiv gesehen kann Hitze aber für viele Menschen eine Gesundheitsgefährdung darstellen, die diesen oft nicht bewusst ist. Ähnlich wie im Sommer 2003, in dem es über 9000 Hitzetote in Deutschland gab, wird es vermutlich auch dieses Jahr wieder viele Hitzetote gegeben haben.
Ein anderes Beispiel ist die Videoüberwachung, die in der Bevölkerung zu einer populären Maßnahme aufgestiegen ist. Manche Menschen fühlen sich sicherer an Orten, die videoüberwacht werden, da sie annehmen, dass eine Beobachtung in Echtzeit stattfindet, was de facto übrigens nicht der Fall ist. Andere fühlen sich unsicherer, da sie aus dem Vorhandensein der Videokamera die Schlussfolgerung ziehen, sich an einem Kriminalitätsbrennpunkt zu befinden. Grundsätzlich ist Videoüberwachung eher im Nachhinein einer Tat relevant, wenn es um die Aufklärung beziehungsweise um die Identifizierung von Tatverdächtigen geht. Es ist vielen Menschen nicht bewusst, dass Videoüberwachung nicht die Zielsetzung erfüllen kann, die sie im Auge haben. Das heißt nun nicht, dass ich gegen Videoüberwachung bin, aber man muss jeweils genau schauen, unter welchen Bedingungen und für welche Zwecke sie effektiv ist.
Welche Aussagekraft haben statistische Angaben wie zum Beispiel in der Polizeilichen Kriminalstatistik, um das vielschichtige Phänomen „Sicherheit“ zu erfassen?
Wichtig ist, dass Sicherheit ein Bereich ist, der sich auf sämtliche Lebensbereiche bezieht. Dementsprechend kann die polizeiliche Kriminalstatistik nur einen Ausschnitt unserer Sicherheit beleuchten und dieser Ausschnitt bezieht sich auf die polizeilich registrierte Kriminalität. Hierbei handelt es sich um das sogenannte „Hellfeld“ der Kriminalität. Viele Straftaten werden beispielsweise nicht von den Opfern angezeigt, weil sie dies aus unterschiedlichsten Motivationen nicht möchten oder weil sie die Straftaten gar nicht bemerkt haben und diese nicht von der Polizei entdeckt werden. Das Dunkelfeld variiert dabei je nach Deliktsbereich. Ein Deliktsbereich mit einem nur sehr kleinen Dunkelfeld ist zum Beispiel der Kraftfahrzeugdiebstahl, da dieser der Versicherung gemeldet werden muss.
Wenn etwas subjektiv ist, kann es dann überhaupt gemessen werden? Und wie misst man konkret subjektive Sicherheit?
Die Annahme, dass objektive Sicherheit leichter messbar ist als die subjektive, ist erstmal richtig. Allerdings stellt sich schon bei der objektiven Sicherheit die Frage, was diese eigentlich ist. Wenn man zum Beispiel zählt, wie viele Polizisten, private Sicherheitsdienste und technische Sicherheitsmaßnahmen es gibt, dann lassen sich daraus noch keine direkten Schlussfolgerungen ziehen. Schon bei quantitativen, statistischen Daten gibt es also Schwierigkeiten im Hinblick auf die Aussagekraft. Diese Schwierigkeiten potenzieren sich bei der subjektiven Sicherheit. Wie misst man diese also?
Seit den 1960er Jahren gibt es in der Kriminologie die sogenannte Viktimisierungsforschung oder Dunkelfeldforschung. Dabei werden Menschen nach ihren Opfererfahrungen befragt. Dieser Forschungszweig ist inzwischen sehr gut ausgebildet und es gibt standardisierte und damit auch vergleichbare Fragestellungen zur Messung des Sicherheitsgefühls. Wenn man Menschen beispielsweise befragt, wie sicher sie sich abends allein in ihrer Wohngegend fühlen, muss man immer auch bedenken, was diese Frage eigentlich alles an Thematiken umfasst. Neben der Furcht vor Kriminalität können etwa auch Ängste eine Rolle spielen, die mit ganz persönlichen Lebensumständen zu tun haben. So ist es beispielsweise möglich, dass jemand im Dunkeln nicht gerne allein unterwegs ist, weil er oder sie nicht gut sieht oder zu Fuß nicht gut unterwegs ist. Auch die Umgangsstrategien mit Unsicherheit einer Person sowie allgemeine Fragen der Lebensqualität spielen hier mit hinein. Sicherheit ist ein weites, hochkomplexes Feld und es müssen hier sehr viele Punkte berücksichtigt werden. In den letzten Jahren gab es sehr viele Befragungen, um das Sicherheitsgefühl der Menschen zu erfassen.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Wahrnehmung der allgemeinen Sicherheit und persönlichen Lebensängsten?
Meist sind wir als Menschen ja mit unterschiedlichen Sorgen konfrontiert, die auch entsprechend abgefragt werden können. Man differenziert dabei zwischen der persönlichen und der gesellschaftlichen Ebene. Sorgen darüber, ob man einmal genug Rente haben wird, wie sich der eigene Gesundheitszustand entwickeln wird oder ob man später einmal zu einem Pflegefall werden wird, betreffen die persönliche Ebene.
Auf der gesellschaftlichen Ebene spielen allgemeinere Sorgen eine Rolle, die im Laufe der Zeit variieren. In der aktuellen Befragung der R+V-Versicherung 2018 war die Angst vor einer gefährlicheren Welt durch Trump-Politik an erster Stelle, die Angst vor einer Überforderung durch mehr Asylbewerber und vor Spannungen durch Zuzug von Ausländern an zweiter und dritter Stelle. Es gibt weitere Ängste aller Art, die relevant sein können, auch wenn man daran denkt, wie viele Krisen in den letzten zehn Jahren bewältigt werden mussten. Der Krisendiskurs ist auch in den Medien sehr präsent. Denken wir zum Beispiel an die Euro- oder Bankenkrise, die Zuwanderungskrise oder auch die befürchtete Krise des Arbeitsmarkts durch zunehmende Digitalisierung. Wir sehen also, dass es viele Anknüpfungspunkte für Verunsicherungen gibt. Ein wichtiger Punkt ist dabei außerdem die Frage nach der Zukunft: Auch wer sich gestern sicher fühlen konnte und sich heute sicher fühlt, kann sich unter Umständen vor einer unsicheren Zukunft fürchten. Es geht dabei um die Sorge, den hohen Sicherheitsstatus, den man erreicht hat, womöglich nicht weiter aufrechterhalten zu können. Diesen Standard möchte man in der Zukunft natürlich gerne behalten oder sogar verbessern.
Haben soziale Medien wie Facebook und Twitter das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung verändert?
Die sozialen Medien sind heute ein weiterer Player neben den traditionellen Medien. Früher war man auf Radio, Fernsehen und Zeitungen angewiesen, um tagesaktuelle Informationen zu bekommen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Teilweise ist es sicherlich so, dass über die sozialen Medien bestimmte Skandale aufgegriffen und dann hochgespült werden. Allerdings finde ich nicht, dass soziale Medien primär eine schädliche Funktion haben. Ich denke, man muss dieses Thema sehr differenziert betrachten, denn soziale Medien sorgen andererseits auch dafür, dass gewisse Dinge transparent gemacht werden. Jedoch bergen die sozialen Medien auch die Gefahr, dass man sich in die eigenen „Echokammern“ zurückzieht, in denen man nur noch das wahrnimmt, was man selber als relevant empfindet. Man muss sich dann nicht mehr mit bestimmten Fakten und anderen Meinungen auseinandersetzen. Dies ist ein Unterschied zu den traditionellen Medien wie Rundfunk und Zeitungen. Wenn man eine Zeitung liest, sucht man sich zwar meistens auch eine aus, die gut zu einem passt und die eher konservativer oder eher liberaler ist. Trotzdem wird man mit unterschiedlichen Meinungen und Fakten aus diversen Bereichen konfrontiert, als wenn man sich ausschließlich in einer Echokammer aufhält und dort nur noch bestimmte Nachrichten zur Kenntnis nimmt und andere ignoriert.
Wie relevant sind Ihre Forschungserkenntnisse für Sicherheitsbehörden und Kommunen?
Dadurch, dass wir in verschiedenen Verbundprojekten mit Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, sind unsere Ergebnisse natürlich auch für diese relevant. Ein Beispiel ist das Projekt „Prävention und Intervention bei Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung (PRIMSA)“, bei dem auch das Bundeskriminalamt als Partner beteiligt war. Auch auf kommunaler Ebene sind die Projekterkenntnisse für unterschiedliche Akteure, wie zum Beispiel die Polizei, von Interesse. Im Projekt „Sicherheit im Bahnhofsviertel (SiBa)“ haben wir außerdem eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Städten. Die Kontakte sind hier insgesamt sehr gut, so dass wir auch in unterschiedlichen Zusammenhängen zu runden Tischen eingeladen sind und es auch mal informelle Treffen gibt. Auf die enge Zusammenarbeit sind wir angewiesen. Gerade unsere quantitative Bewohnerbefragung, die wir im Sommer im Rahmen des Projekts durchgeführt haben, hätten wir nicht ohne die Unterstützung der Städte durchführen können.
Vielen Dank für das Gespräch!