DiverCity: Sicherheit und Vielfalt im Quartier
Immer mehr Menschen zieht es in urbane Lebensräume, weil sie dort ein breites kulturelles Angebot und berufliche Perspektiven finden. Nicht nur durch die neuen Einwohner, sondern auch durch demografische Entwicklungen verändern sich die Stadtquartiere. Dabei gewinnt die Sicherheit im Wohnumfeld im Zusammenhang mit der Wohnraumversorgung, Nachbarschaftsbildung, Integration von Zuwanderern usw. immer mehr an Bedeutung. Im Projekt DiverCity wurden Konzepte erarbeitet, um ein sicheres Wohnumfeld und nachbarschaftliches Miteinander in Stadtquartieren zu erhalten oder herzustellen. Dazu wurden mit Hilfe von Fallstudien Aspekte der Kriminalprävention sowie Maßnahmen erfasst, die die Bedürfnisse einer vielfältigen Nachbarschaft berücksichtigen und sich als integrationsfördernd sowie sicherheitsstärkend erweisen. Parallel erfolgten Kommunalbefragungen und Wohnungsmarktanalysen. Dadurch wurden Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und Veränderungen im Kriminalitätsgeschehen erkennbar. Positive Beispiele wurden zu Handlungsempfehlungen aufbereitet, die auf weitere Kommunen übertragbar sind.
Interview
Im Projekt DiverCity erarbeiten Sie Sicherheitsstrategien für städtische Quartiere, die bewusst den Faktor „Diversität“ berücksichtigen. Was bedeutet Diversität in der Stadt heute?
Holger Floeting: Städte zeichnen sich durch eine besondere Vielfalt von sozialen Lagen, Lebensstilen, Werthaltungen und Kulturen aus. Sie sind Orte, an denen sich Fremde auf engem Raum begegnen und so zur Interaktion gezwungen sind. Gesellschaftliche Vielfalt stellt hier gegebenenfalls geltende Normen und Werte in Frage, so dass es zu Verunsicherungen und Konflikten kommen kann. Eine besondere Rolle spielt dabei die Ebene des Stadtquartiers. Quartiere sind Begegnungszonen, in denen verschiedene soziale Gruppen aufeinandertreffen. Hier werden Konflikte erfahren und ausgetragen und Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Zusammenleben verhandelt. Insbesondere in den großen Metropolen nimmt gesellschaftliche Vielfalt in mehrfacher Hinsicht zu. Dabei spielt neben ethnischer Diversität z.B. auch sozio-ökonomische, kulturelle und lebensstilistische Diversität eine Rolle.
Anke Schröder: Diversität in der Stadt bedeutet heute, dass wir uns darüber Gedanken machen müssen, welche anderen und neuen Nutzungsanforderungen an die Stadt gestellt werden oder wie wir städtische Strukturen neu denken können. Wir haben eine starke Diversifizierung in der Gesellschaft mit veränderten Haushalts- und Lebensformen, z.B. hat der Ein-Personen-Haushalt die typische Lebensform der Versorgerfamilie mit zwei Kindern seit geraumer Zeit abgelöst. Das kann zu Vereinsamung führen. Durch weitere dynamische Entwicklungen wie Digitalisierung, Veränderung der Erwerbstätigkeit, Alterung der Gesellschaft und Zuwanderung entstehen neue Anforderungen an Stadtgestaltung und Stadtmanagement und auch an Wohnraumversorgung. Dabei ist zu bedenken, dass wir keine homogene, sondern eine „superdiverse“ Gesellschaft sind. Für die Städte heißt das beispielsweise, dass multikulturelle Stadtplanungskonzepte erforderlich sind, um auf die neuen Herausforderungen vorbereitet zu sein.
Immer mehr Menschen zieht es heute in die Großstädte. Einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zufolge wächst beispielsweise Berlin bis zum Jahr 2035 auf über vier Millionen Einwohner. Was bedeutet dies für die Entwicklung von städtischen Sicherheitsstrategien?
Holger Floeting: Der Vielfalt der Möglichkeiten, die städtische Räume bieten, steht naturgemäß eine Vielfalt von Risiken gegenüber: Naturgefahren, technische Gefahren, Gefährdungen kritischer Infrastrukturen, Terrorismus, Kriminalität, Verkehrsunfälle, Störungen der öffentlichen Ordnung und dementsprechend eine Vielfalt von Aufgaben. Bezogen auf unser Verbundprojekt geht es um diversitätsorientierte Sicherheitsstrategien. Darunter verstehen wir Vorgehensweisen, die die Unterschiedlichkeiten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen anerkennen ohne deren Legitimität zu hierarchisieren: Verschiedene Nutzungsansprüche, Raumanforderungen und Werthaltungen sowie Sicherheitswahrnehmungen und –bedürfnisse, z.B. wie und wann man für welche Zwecke öffentliche Räume nutzt, wann man sich durch andere gestört fühlt und wann das mit Unsicherheit verbunden sein kann. Wo Konflikte in den Kommunen auftreten, sollten nach Möglichkeit die lokalen Konflikt- und Problemkonstellationen berücksichtigt werden, um Lösungen gemeinsam mit den beteiligten Gruppen herbeizuführen und so die Lebensqualität in den Quartieren zu erhalten und zu verbessern. Wir negieren die Herausforderungen nicht, die mit einer zunehmend diversen Stadtgesellschaft auch für die Sicherheit verbunden sind. Dennoch geht es uns darum, Diversität als Ressource für die Schaffung und Erhaltung sicherer und lebendiger Städte und nicht als Bedrohung für die Sicherheit zu sehen. Solche aushandlungsorientierten Problemlösungsprozesse stoßen allerdings spätestens dann an ihre Grenzen, wenn geltendes Recht oder unverhandelbare gesellschaftliche Grundwerte verletzt werden.
Anke Schröder: Es wird eng. Es gilt, Strukturen zu schaffen, die die Lebensqualität der Menschen ausbauen bzw. diese weiterhin gewährleisten können. Aus kriminologischer Sicht wissen wir, dass die Kriminalitätsrate steigt, je mehr Menschen auf engem Raum aufeinandertreffen. Das ist ein ganz normales Phänomen. Sicherheitsrisiken können steigen. Es heißt aber nicht, dass die Herausforderungen nicht bewältigt werden können. Wir arbeiten immer unter der Berücksichtigung von drei Schutzdimensionen: 1. Städtebaulicher und technischer Schutz (wie Transparenz und Einsehbarkeit), 2. Schutz durch Managementstrukturen, z.B. Pflege und Betreuung eines Raumes nach „Schließen des Baubuches“ und 3. Schutz durch Nutzungsverantwortung, damit ist die Einbeziehung der Menschen aus dem Quartier gemeint. Ohne diejenigen, um die es eigentlich geht, läuft nichts. Es sollte uns bewusst sein, dass nicht allein die Zunahme von Menschen zu betrachten ist, sondern auch die Prozesse so zu gestalten sind, dass diese Menschen sicher in Freiheit leben können. Dazu müssen sie mit entsprechend günstigem Wohnraum versorgt werden, differenzierte Arbeitsbedingungen vorfinden und es muss gelingen, ein friedliches Neben- und Miteinander zu ermöglichen. Es muss die Chance geben, den Alltag zu bewältigen, ganz nach dem Motto: Soviel Nähe wie möglich und so viel Distanz wie nötig. Das ist ein sehr komplexes Feld und erfordert Weitblick und Toleranz.
Lassen sich Maßnahmen zur Erhöhung von Sicherheit aus Ihrer Sicht mit dem Leitbild einer lebendigen, vielfältigen Stadt vereinen?
Holger Floeting: Ja, wir müssen diese Verbindung sogar herstellen. Stadträume, die allein an den Anforderungen von Sicherheit und Ordnung orientiert wären, sich auf die Reduzierung von Tatgelegenheiten konzentrieren und jede Form der Verunsicherung präventiv ausschließen wollten, aber kaum noch Möglichkeiten für urbane Vielfalt ließen, sind ja nicht die Alternative und wären auch kaum zu realisieren. Wir sehen „Sicherheit“ daher als einen Aspekt von Lebensqualität an, neben anderen Aspekten, zu denen auch ein positiver Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt gehört. „Lebensqualität“ wird damit zum integrativen Konzept für Vielfalt und Sicherheit in der Kommune.
Anke Schröder: Natürlich. Wir reden doch nicht über ein neues Phänomen. Schon immer hat es Menschen aufgrund der Vielfalt und der Lebendigkeit in die Stadt gezogen. Das ist das urbane Leben in der Stadt mit allen Chancen und Risiken. Schauen sie in der Stadtsoziologie z.B. bei Richard Sennett nach, die Stadt ist von Anbeginn ihrer Entstehung ein Konstrukt aus baulicher Dichte (Ville) und sozialen Aushandlungsprozessen (Cité). Auch Fremdheit, Anonymität und Unordnung sind Phänomene der Stadt und der Urbanität. Nehmen sie zum Beispiel die Tendenzen der Gated Communities. Also Wohnviertel, die sich dem öffentlichen Raum entziehen und die nur durch Tore mit Zugangskontrollen betreten werden können. Hier wird versucht, eine eher dörfliche Struktur in die Stadt zu holen. Erstens entziehen sich die dort wohnenden Menschen dem öffentlichen Leben und nehmen zweitens anderen Menschen die wertvolle Ressource des „öffentlichen Raums“ weg. Das ist eine gesellschaftliche Verweigerungshaltung! Diese Wohnform führt außerdem nicht dazu, dass das Sicherheitsempfinden gestärkt wird. Die Frage, der wir nachgehen, ist, wie sich Kriminalität in den Städten entwickelt. Welche unterschiedlichen Delikte kommen vor, wie können diese Straftaten verhindert werden und wie kann ich Tatgelegenheiten reduzieren. Aber diese Fragen rütteln nicht am urbanen städtischen Leben.
Welche Akteure außer der Polizei spielen beim Thema Sicherheit in Städten eigentlich eine Rolle?
Anke Schröder: Aus unserer Sicht ist die Polizei ein Akteur von vielen. Der Fokus liegt doch erst einmal auf der Stadtgesellschaft, also den Bewohner*innen und Nutzer*innen von Stadt in ihren diversen Ausprägungen und mit ihren unterschiedlichen Bedarfen. Erst dann geht es um die handelnden Akteure, die ja ihre Aktivitäten auf die bestehenden Anforderungen hin ausrichten sollten. Da sehe ich alle Bereiche der Planung, der Kommunen, der Wohnungswirtschaft, der Sozialarbeit gefordert. Da sind Kunst- und Kulturschaffende, die Versorgungseinrichtungen, die Wissenschaft usw. Natürlich ist auch die Politik nicht zu vernachlässigen.
Holger Floeting: Wir haben im Rahmen des Verbundprojekts unterschiedliche Fachbereiche und Ämter in den deutschen Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern zu verschiedenen Aspekten der Auseinandersetzung mit Vielfalt und Sicherheit befragt. Dazu gehörten die Fachbereiche Ordnung, Stadtplanung, Wohnen, Soziales, Jugend und Integration. Unter anderem haben wir auch gefragt, wie häufig die Akteure in Fragen von Vielfalt und Sicherheit in den letzten fünf Jahren zusammengearbeitet haben. Sicherheit hat für die Befragten natürlich ein unterschiedliches Gewicht bei ihrem täglichen Verwaltungshandeln. Sicherheit und Ordnung gehören zur Kernaufgabe der Ordnungsämter, die anderen Akteure sind eher implizit mit entsprechenden Fragen beschäftigt. Die Ordnungsämter beispielsweise arbeiten oft mit der Polizei zusammen, aber auch mit den Bereichen Jugend und Soziales oder dem Grünflächenamt. Für fast alle befragten Ämter erzeugt die Zusammenarbeit mit anderen eine nützliche Perspektivenvielfalt für die Bearbeitung der eigenen Aufgaben. Aufgaben und Konflikte lassen sich für fast alle Befragten nur durch Zusammenarbeit von Ämtern/Fachbereichen behandeln.
Wie können diese sehr unterschiedlichen Akteure in Zukunft enger zusammenarbeiten?
Holger Floeting: Trotz der grundsätzlich positiven Bewertung von Zusammenarbeit und der bereits stattfindenden Kooperation über Ämtergrenzen hinaus, muss man feststellen, dass diese häufig eher auf den engeren fachlichen Kontext begrenzt ist: die Ordnungsakteure arbeiten eher mit anderen Ordnungsakteuren, die Planer mit anderen Planern, die Integrationsbeauftragten mit anderen Integrationsakteuren. Die Grenzen zwischen den „Sphären“ werden nur gelegentlich überschritten. Befragt nach den Faktoren, die eine Zusammenarbeit erschweren, zeigt sich, dass diese wesentlich von den beteiligten Personen abhängt. Fehlende finanzielle und zeitliche Ressourcen werden deutlich seltener als Hemmnis genannt. Damit wird klar, dass es darauf ankommt, Zusammenarbeit zu „üben“, Vertrauen zwischen unterschiedlichen Akteuren zu schaffen, die anderen Akteure und ihre Sichtweise kennenzulernen – es geht also um Prozesse, die nicht von heute auf morgen erledigt sind. Umso wichtiger ist es, bestehende Netzwerke der Kooperation zu unterstützen, für Kontinuität auch bei personellen Wechseln zu sorgen, und auch Partner über Ämtergrenzen hinaus wertzuschätzen.
Anke Schröder: Ich denke wir müssen mit der Auflösung des sektoralen Denkens beginnen. Je stärker wir die Menschen zu Expert*innen machen, desto weniger Menschen haben den Weitblick für das Ganze. Ich denke es ist wichtig, neugierig zu sein, Veränderungen nicht zu scheuen und vor allem andere Disziplinen und Herangehensweisen wertzuschätzen. Neben Kommunikationsplattformen, auf denen wir diskutieren können, brauchen wir weitere Formen, die das „miteinander Machen“ stärken. Beispielsweise haben wir mit unserer Methode der Sicherheitsbegehungen „Walk around your Hood“ sehr gute Erfahrungen gemacht. Dabei geht es darum, miteinander das Quartier zu begehen und anhand konkreter Fragen und Zielsetzungen konsensorientierte Lösungen zu suchen. Je nach Situation vor Ort versuchen wir immer mit der Polizei, den kommunalen Vertreter*innen aus den Bereichen Ordnung, Planung und sozialer Arbeit sowie Multiplikator*innen der Bewohnerschaft loszugehen. Das stärkt die Akzeptanz anderer Sichtweisen und fördert den Dialog am konkreten Beispiel.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen zum Verbundprojekt
Förderkennzeichen 13N14510 bis 13N14512
Projektlaufzeit 01/2018 - 12/2020
Projektumriss DiverCity (PDF, 96KB, Datei ist nicht barrierefrei)